Kalifornien ohne Kitsch – Sonoma Coast Pinot noir

Kalifornien ohne Kitsch – Sonoma Coast Pinot noir

Welches denn aktuell das spannendste Gebiet für Pinot noir sei – abgesehen von Burgund, fragte unlängst ein Freund. Ich überlegte nicht lang, antwortete „Kalifornien“ und erntete zweifelnde Blicke: „Ernsthaft?“

Ganz und gar ernsthaft! Zugegeben, noch vor einigen Jahren schien auch mir der Gedanke an kalifornischen Pinot noir eher befremdlich, kennt man die meisten Rotweine des „Golden State“ doch als üppig, marmeladig und konzentriert, oft überladen mit Barriquenoten und Extraktsüße. „High Alcohol, Big Flavor“ – und dieses Konzept soll für die filigrane Sorte Pinot noir funktionieren?
Nein, tut es natürlich nicht. Doch auch in Kalifornien hat sich die Winzer-Avantgarde vom Streben nach immer mehr Üppigkeit und Power verabschiedet. Weingüter im Disneyland-Stil und die großen, industriell produzierenden Betriebe gibt es nach wie vor, aber am anderen Ende der Skala ist richtig viel in Bewegung. So machen immer mehr kleine, handwerklich arbeitende Winzer, die nicht Kellertechnik, sondern sorgfältige Weingartenarbeit in den Vordergrund stellen, auch in Europa mit eleganten, finessenreichen Weinen Furore. Zudem wird der Trend zum biodynamischen Weinbau immer stärker.

Salzige Kühle

Vorab sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, Kalifornien sei ausschließlich von Wärme und Sonne geprägt. Im Süden und für küstenferne Gebiete kann dies zutreffen, doch in Nordkalifornien dominiert der Einfluss des kalten Pazifik und wer in San Francisco Anfang September bei dichtem Nebel frierend und klamm über die Golden-Gate-Bridge radelt, wird niemals mehr vergessen, dass hier ein Cool-Climate herrscht.
Nördlich von San Francisco und ganz besonders im Gebiet Sonoma Coast wird es also so richtig spannend für Pinot noir. Die frische Ozeanbrise macht Weine mit Eleganz, Trinkfluss, anregender Säure und typisch feiner Pinot-Frucht möglich. Drei herausragende Pinot-Produzenten, deren Weine auch am österreichischen und deutschen Markt erhältlich sind, habe ich dort besucht.

Jamie Kutch – der Lässige

Jamie Kutch ist ein Quereinsteiger, der kein Weingut besitzt, sondern seine Trauben zukauft – von ausgewählten Partnern mit ganz bestimmten Weingärten. In den Neunziger Jahren arbeitete Jamie als Broker an der New Yorker Wallstreet. Irgendwann hatte er davon genug, ging nach Kalifornien und machte 2005 einen ersten Weinjahrgang. Heute produziert er etwa 36.000 Flaschen und Pinot noir steht klar im Fokus (auch sein Chardonnay ist eine wahre Freude).
Jamie Kutch verarbeitet die Trauben in einer Halle und bereitet seine Weine nach einer Low-Intervention-Philosphie: so wenige Eingriffe wie möglich. Er strebt moderate Alkoholgehalte, eine erfrischende Säure und gute Struktur im Wein an. Strukturgewinn bringt die (teilweise) whole-cluster-Vergärung, was bedeutet, dass auch die Stiele der Trauben mitvergoren werden. Jamie hat hier über die Jahre viel Erfahrung gewonnen: „Ich bin sogar bekannt für die whole-cluster-fermentation, mache aber sicherlich keine Religion daraus. Wenn ohnehin viel Struktur vorhanden ist, werden die Trauben auch mal gerebelt.“

Das trifft zum Beispiel auf seinen engmaschigen Top-Pinot Graveyard Block von der Lage Bohan zu. Bohan Vineyard liegt nur wenige Kilometer vom Meer entfernt, die andere Spitzenlage Falstaff Vineyard hingegen etwas weiter im Hinterland. Dennoch lässt auch Falstaff das Cool-Climate im Wein spüren – mit typisch hellroter Frucht, feiner Frische und Balance. Außerordentlichen Trinkfluss besitzt Jamies Pinot Sonoma Coast, etwas kantiger und reduzierter wird es mit dem „Sans Soufre“, hergestellt ohne Schwefelzugabe und zu 100 Prozent mit den Stielen, in Form einer Carbonic Mazeration vergoren. Leicht im Alkohol, zitronig frisch, vorwitzig; cooler Pinot noir.

Ted Lemon – der Terroir-Tüftler

Das Weingut Littorai ist längst kein Geheimtipp mehr, sondern steht seit vielen Jahren für eleganten, komplexen Weltklasse-Pinot aus Kalifornien. Ted Lemon verbrachte viele Jahre in Frankreich und lernte in Burgund nicht nur das Weinmachen, sondern auch das Konzept von Terroir. Mitte der Achtziger Jahre wurde er Kellermeister und Weingartenmanager bei Guy Roulot in Meursault – und so der erste Amerikaner überhaupt, der ein burgundisches Weingut leitete.
Zurück in Kalifornien arbeitete Ted vorerst im Napa Valley und gründete mit seiner Frau Heidi 1993 das Weingut Littorai an der Sonoma Coast, nahe der Stadt Sebastopol. Als Ted Ende der Neunziger bemerkte, dass er im Weingarten und beim Weinmachen an Grenzen stieß, begann er sich der Biodynamie nach Rudolf Steiner zu widmen. Heute führen Ted und Heidi Littorai ganzheitlich als Farm – mit Kühen, Schafen, Hühnern, Gemüse- und Kräuteranbau. Auch der biodynamische Kompost, die Präparate und Kräuterspritzmittel stammen aus Eigenproduktion.

Insgesamt 18 Hektar Reben an der Sonoma Coast wie auch im Anderson Valley ergeben 18 verschiedene Weine. Ted tüftelt gerne an den Details jeder einzelnen Lage, an den Feinheiten seiner Pinots und Chardonnays, um die unterschiedlichen Terroirs ins Glas bringen.
Von Hirsch Vineyard, weit im Norden der Sonoma Coast, in 360 bis 470m Seehöhe, keltert Ted einen Pinot noir mit besonders markanter Struktur und festem Tanningrip. „Hirsch braucht Zeit, bis er seine vielen Qualitäten so richtig zeigt“, erklärt der Winzer. Der zugängliche Jahrgang 2016 überzeugt mit feinem Spiel zwischen Preiselbeeren und Zwetschgen, erdig, mineralisch, mit lebendiger Säure, muskulös und tiefgründig, ein großer, lagerfähiger Pinot. B.A. Thieriot Vineyard, eine von Bergen geschützte Lage in etwa 270m Höhe, liegt weiter im Süden und drückt Teds Pinot einen anderen Stempel auf – mit feiner orangiger Frucht, exotischen Gewürznoten und großer Seidigkeit.

Eric Sussman – der Zurückhaltende

Eric Sussmans Weingut trägt den ungewöhnlichen Namen Radio-Coteau – ein französischer Dialekt-Ausdruck, der Mund-zu-Mund-Propaganda bedeutet und darauf hinweisen soll, dass Traditionen und Wissen oft mündlich weitergegeben werden. Auch Eric arbeitete in Burgund, wie Ted Lemon hat er sich ganz dem „sense of place“ verschrieben und versucht das Terroir mit Pinot noir, Chardonnay, aber auch Syrah und Zinfandel in die Flasche zu bekommen.

Die Trauben werden zum Großteil gekauft. Angesichts biodynamischer Weingartenarbeit und extrem schonender Verarbeitung im Keller akzeptiert der nur im ersten Eindruck schüchterne Winzer zwar, wenn man seine Weine „Natural Wines“ nennt, möchte sie selbst aber vorsichtshalber lieber nicht so bezeichnen. „Bei den Natural Wines findet man immer wieder welche, die einfach nicht gut sind. Wein sollte stabil sein und dafür braucht es einfach eine geringe Menge an Schwefel.“
Erics Weine sind stabil und einfach richtig gut. Sie besitzen Spannung, Frische und Komplexität. Sein Flagship-Pinot von der Sonoma Coast heißt La Neblina – eine Anspielung auf den Nebel, der so häufig vom Pazifik über die Sonoma Coast rollt. Mit frischer Würze und rotbeerigen Aromen, seidig und kernig macht La Neblina ungeheuer Spaß, wird aber noch getoppt von Terra Neuma. Dieser Pinot noir stammt aus einem Demeter-zertifizierten Weingarten, der ebenfalls nur wenige Kilometer vom Ozean entfernt liegt, und beeindruckt mit Tiefe und einer lebhaften Balance zwischen Kraft und Feinheit – ganz große Klasse!