Dunkle Regenwolken hängen über den Rebbergen im hügeligen Hinterland von Palermo, in den Weingärten steht Wasser – und das im Mai. Giovanni Ascione schüttelt den Kopf über „das seltsame Wetter“, empfängt uns aber bester Laune am Weingut Centopassi, unweit von San Giuseppe Jato in der Region Belice Corleonese. Das Dorf Corleone erlangte einst durch den legendären Mafia-Film „Der Pate“ Berühmtheit und tatsächlich stammen aus dem Dreieck zwischen Palermo an der Küste im Norden, San Giuseppe Jato im Südwesten und Corleone im Süden mächtige Mafia-Clans. Hier ist die Heimat der sizilianischen Cosa Nostra.
Der Name des Weinguts – Centopassi – entspricht dem Titel eines preisgekrönten Anti-Mafia-Film (2000), welcher das kurze Leben des Aktivisten Peppino Impastato schildert, den der Kampf gegen die Mafia Ende der 1970er Jahre in den Tod führte. Die Distanz von seinem Elternhaus bis zu jenem seiner Mörder betrug hundert Schritte (cento passi).
Libera Terra
Die Mafia besitzt nach wie vor einen beträchtlichen – für Touristen und Besucher nicht wahrnehmbaren – Einfluss. Es gibt aber positive Entwicklungen, wie jene, von denen der Weingutsleiter Giovanni Ascione erklärt: „Centopassi ist Teil eines viel größeren Projektes, das sich Libera Terra nennt und bereits 1.500 Hektar Land in Sizilien, Apulien und Kalabrien umfasst, wo die italienische Regierung Besitztümer der Mafia konfisziert hat. Sozial-Kooperativen bewirtschaften nun das ‚befreite Land‘ nach Bio-Richtlinien und erzeugen nicht nur Wein, sondern auch Oliven, Zitrusfrüchte, Honig, Kichererbsen, Linsen und Weizen.“ Der biologische Anbau gehört zur Grundidee von Libera Terra und die von Beginn an auf Qualität ausgerichteten Produkte sind fixer Bestandteil im Sortiment vieler Supermärkte in ganz Italien.
Zu Centopassi gehören mehr als 100 Hektar Weingärten. Ihre Lage auf 400 bis zu 1.000 Metern Seehöhe sorgt für recht kühle klimatische Bedingungen. So gelangen genügend Eleganz und Frische in die vorwiegend aus lokalen Rebsorten gekelterten Weine.
Feine Weißweine
Die Weißweinsorten Grillo und Catarratto bianco sind in Westsizilien weit verbreitet und kommen traditionell bei der Marsala-Herstellung zum Einsatz, doch auch als trockene Weißweine werden sie immer beliebter. Die semiaromatische Grillo ist eine natürliche Kreuzung aus Catarratto und Muscat d’Alexandria (Zibibbo). Das Qualitätspotenzial der alten (und meistangebauten) Sorte Catarratto sollte man nicht unterschätzen – der elegante „Terre Rosse di Giabbasccio“ von Centopassi überzeugt mit pflanzlich-frischer Frucht und feinem Säurebogen.
Die Sorte Trebbiano Toscano ist in Sizilien weniger häufig, sie taucht aber bei Centopassi in Form alter Reben in Tendone-Erziehung auf (ähnlich einer Pergola). Die Trebbiano-Reben waren bereits in den 1970er Jahren gepflanzt worden – ursprünglich dürften hohe Erträge das Ziel gewesen sein, aber nun bringen die alten Weinstöcke tolle Qualität hervor, einen würzigen, komplexen, im 500-Liter-Fass vergorenen Wein mit zarten Holznoten.
Autochthone Rote
Bei den Roten ist Nero d’Avola die wichtigste und verbreitetste Rebsorte, die sehr saftige, kirschfruchtige Weine hervorbringt. Die alte tanninreiche Sorte Perricone, die einzige wirklich autochthone Rotweinsorte Westsiziliens, kommt gerade wieder in Mode. Sie war aufgrund ihrer Reblausempfindlichkeit und niedriger Erträge fast verschwunden. Oft wird Perricone heute mit Nero d’Avola verschnitten, reinsortige Versionen sind aber meist interessanter – wie der charakterstarke, kernige „Cimento“ von Centopassi, der seine erdige Kirschfrucht mit typischen floralen und würzig-herben Noten paart. Im höchst gelegenen Weingarten, auf rund 1.000 Meter Seehöhe, wächst Nerello mascalese in Alberello, der typischen sizilianischen Buscherziehung. Die Paradesorte vom Ätna bildet mit der seltenen Nocera die überzeugende Top-Cuvée „Pietre a Purtedda da Ginestra“.
Weingutsleiter Giovanni Ascione ist stolz auf die Weine und das gesamte Projekt: „Libera Terra soll den Menschen hier zeigen, dass die Macht der Mafia kein Naturgesetz ist. Es sind noch viele Schritte zu gehen – vielleicht mehr als hundert, aber mit Centopassi beschreiten wir diesen Weg.“