Lambrusco – viel besser als sein Ruf

Lambrusco – viel besser als sein Ruf

Alles Prickelnde ist in, doch Lambrusco ist immer noch out. Das liegt an seinem Image als billiger roter Fusel aus dem Supermarkt, welches schal und süßlich in unserer Erinnerung nachklingt…

Als natürliches Habitat von Lambrusco gilt das unterste Regal im Supermarkt, denn lange Zeit hielt er sich im deutschsprachigen Raum ausschließlich dort auf. Gelegentlich traf man ihn auch in der mittelmäßigen Pizzeria ums Eck, wo er banal, dünn und restsüß in Erscheinung trat. Doch die Lambrusco DOC ist in eine Qualitätsoffensive gestartet und in seinem neuen Stil präsentiert sich hochwertiger Lambrusco als trocken, lebhaft und vielschichtig, mit salziger Note im Abgang. Er hat sich zum Insider-Tipp entwickelt – hoch an der Zeit, dem berühmt-berüchtigten roten Sprudel eine neue Chance zu geben.

In erster Linie Charmat

Mehr als 50 Millionen Flaschen Lambrusco DOC werden jährlich hergestellt, und auf das Dreifache beläuft sich die Menge an Lambrusco IGT, von dem sich das meiste weiterhin im untersten Preisbereich verkauft. Doch die Zahl jener Winzer und Winzerinnen, die mit Qualität auf sich aufmerksam machen, steigt. Sie bieten oft schon im Preisbereich von 10 bis 15 Euro ausgezeichneten Lambrusco. Traditionell bereitet man Lambrusco nach der Methode Charmat (auch: Martinotti), bei der die zweite Gärung im Drucktank über die Bühne geht. Seit einigen Jahren ist auch Ancestrale („rifermentazione in bottiglia“) ein Thema – und sogar Metodo Classico, die Traditionelle Flaschengärung, kommt für Lambrusco mitunter zum Einsatz. Die Ergebnisse überzeugen, wenngleich ihr Anteil von etwa einem Prozent noch verschwindend gering ist.

Zartrosa bis dunkelrot

Das Anbaugebiet von Lambrusco DOC liegt in der Region Emilia-Romagna, erstreckt sich zwischen den Städten Modena und Reggio Emilia und umfasst insgesamt 16.000 Hektar Reben. Lambrusco ist aber nicht gleich Lambrusco. Innerhalb der DOC gibt es sechs verschiedene Herkunftsgebiete, deren Weine sich zum Teil auch farblich stark unterscheiden, was wiederum an den verschiedenen Lambrusco-Rebsorten liegt – zwölf bilden die offizielle Lambrusco-Gruppe. Sie alle besitzen rote Beeren, die Weinfarbe bewegt sich aber zwischen zartestem Rosa und tiefdunklem Rot. Wie alle zwölf Sorten heißen, ist hier nachzulesen. Ich möchte lediglich auf die drei wichtigsten eingehen: Lambrusco Sorbara, Lambrusco Salamino und Lambrusco Grasparossa. Nach diesen drei Sorten sind auch die drei bedeutendsten DOC-Gebiete benannt.

Sorbara und Salamino

Der helle Lambrusco di Sorbara DOC stammt aus der Ebene rund um Modena, nordöstlich bis südlich. Sorbara ergibt zarte Rosé-Weine, oft mit Weißweincharakter, hellroter Frucht, floralen Noten und einer frischen Säure. Mindestens 60 Prozent muss der Anteil der generell sehr geschätzten Sorbara betragen. Ergänzt wird sie meist durch Salamino – und das passiert bereits im Weingarten. Sorbara ist nämlich nicht wie die meisten Rebsorten selbstbefruchtend, sondern benötigt für ihre rein weiblichen Blüten den Pollen von Salamino als Bestäuber. Deshalb stehen auch im Weingarten von Angelo Marchesi neben jeweils drei Reihen Sorbara zwei Reihen Salamino. Das sei ein gängiges Pflanzmuster, erklärt der Winzer, der sein Weingut Marchesi di Ravarino erst 2017 gründete. Dass auf den 15 Hektar nach Bio-Richtlinien gearbeitet wird, war aber von Anfang an klar. Lambrusco wird hier ausschließlich nach Metodo Ancestrale hergestellt – etwa 40.000 Flaschen pro Jahr. Marchesis Hauptgeschäft sind jedoch getrocknete Bio-Zwetschken, die derzeit noch als „Sponsoren des Weinguts“ wirken. Die knochentrockenen Frizzante – vom hellrosa Sorbara über den „Stile Antico“ (80 Prozent Salamino, 20 Sorbara) bis zum „Ravarein“ Bianco, der Grechetto und Trebbiano di Spagna enthält –, sind herrlich erfrischend, feinfruchtig und auffallend salzig im Abgang.

Erstaunliche Vielfalt

Für Lambrusco in bester Bioqualität steht auch die Tenuta Venturini-Baldini in Quattro Castella, nahe Reggio Emilia. Eleganz, klare Linien und viel Trinkfreude kennzeichnen die Schaumweine. Es gibt auch Metodo Classico, aber großteils kommt die verbreitete Methode Charmat zum Einsatz. Venturini-Baldinis Spumante Cadelvento beispielsweise ist ein heller Rosé aus den Sorten Sorbara und Grasparossa, ungeheuer leicht und erfrischend, mit feiner Zitrusfrucht, perfekt vinifiziert nach Charmat. Zum malerisch gelegenen Weingut von Julia und Giuseppe Prestia gehören auch die älteste Acetaia von Reggio Emilia (köstlicher Aceto Balsamico!) sowie ein Boutiquehotel und ein wunderbares, erst 2021 eröffnetes Gourmet-Restaurant. Seit vielen Jahren werden die etwa 30 Hektar Weinberge biologisch bearbeitet.

In einer völlig anderen Größenordnung stellt die Cantina di Carpi e Sorbara Lambrusco her. Zu der qualitätsorientierten Genossenschaft gehören mehr als 1.200 Winzer:innen, die 2.000 Hektar Weingärten bewirtschaften. Nach dem Charmat-Verfahren entsteht hier Lambrusco DOC in diversesten Spielarten. Sehr gebietstypisch präsentiert sich der Lambrusco Salamino di Santa Croce DOC. Diese Zone befindet sich nördlich von Modena. Salamino verleiht dem Wein mehr Farbe als Sorbara und bringt in der Regel balsamische Anklänge, dunklere Früchte und einen gewissen Tanningehalt in die Weine. Der junge Önologe der Cantina, Daniele Artioli, setzt generell auf einen modernen Lambrusco-Stil mit Frische und wenig Restsüße. Dennoch füllt man für bestimmte Exportmärkte auch süßere Versionen ab.

Die dunkle Grasparossa

Der dunkelste Stil von Lambrusco geht auf die Sorte Grasparossa zurück. Handelt es sich um Lambrusco Grasparossa di Castelvetro DOC, so besteht der prickelnde Rote zu mindestens 85 Prozent aus Grasparossa. In dem hügeligen Gebiet südlich von Modena kommt man dem Appennin näher. Die Böden stellen eine Mischung aus Lehm, Sand und Kalk dar, sie sind etwas weniger fruchtbar als in der Ebene. Dem dunkelroten, extraktreichen Lambrusco-Stil von Grasparossa wurde traditionell Restsüße verliehen, um die kraftvollen Tannine zu puffern.

Die Weine der Fattoria Moretto in Castelvetro, ein Bio-Weingut mit zehn Hektar, zeichnen sich durch herrliche Trockenheit und eigenständigen Charakter aus. Elegante dunkle Frucht und typisch erdige Würze treffen auf griffige, eingebaute Tannine und feine Perlen. Canova und Monovitigno heißen Fausto und Fabio Altarivas sehr spannende, terroirgeprägte Einzellagenweine. Mit ihrem Frizzante Rosato „Sbiadì“ haben sie zudem eine Neuinterpretation von Lambrusco Grasparossa in leuchtendem Pink auf den Markt gebracht – mit enormer Frische, rotbeeriger Frucht und saftigem Trinkfluss. Der Schalenkontakt dauerte hier nur wenige Stunden. Die Idee von „weniger Maischekontakt ist mehr“ schätzt auch der Direktor des Consorzio Tutela Lambrusco DOC Giacomo Savorini, der meint: „In dieser zeitgenössischen Interpretation von Grasparossa könnte die Zukunft von Lambrusco liegen.“

Die Hügel von Castelvetro beherbergen zudem die brandneue Sub-Appellation mit dem Namen „Lambrusco di Grasparossa di Castelvetro Montebarello 115“, die ab dem Jahrgang 2023 gelten wird. Ausschließlich Bioweinbau und Handlese sind hier erlaubt. Der Ertrag wird maximal 12.000 Kilogramm betragen (je nach Herkunft sind generell Mengen von 18.000 bis 23.000 Kilogramm pro Hektar erlaubt). Das solle ein Zeichen für die Qualität setzen und kleinere Produzenten unterstützen, wie der Direktor des Consorzio erklärt, gleichzeitig möchte man auch für die Großen einen Anreiz schaffen, in Richtung Bio und Handlese zu arbeiten.