Einer der vielen Artikel, die ich im Jahr 2022 für den Weinblick von WEIN & CO schrieb, war ganz der Sorte Grüner Veltliner gewidmet: Was macht den Veltliner so erfolgreich? Woher stammt er? Und besitzt er tatsächlich ein Pfefferl…?
Das Weinland Österreich erfand sich nach dem Weinskandal von 1985 neu. Die Erfolgsgeschichte der vergangenen 30 Jahre gründet auf einem strengen Weingesetz und auf dem konsequenten Qualitätsfokus, doch eine ganz wesentliche Rolle spielt auch eine sehr vielseitige, urösterreichische Rebsorte, die zum Exportschlager wurde: Grüner Veltliner. Die österreichische Paradesorte besitzt das Potenzial zu hohen Traubenerträgen und eignet sich daher bestens für die Herstellung günstiger Massenware. Genau das war ab Mitte des vorigen Jahrhunderts auch ihre Aufgabe. Damals setzten die Weingüter auf entsprechend ertragreiche Veltliner-Klone, gepflanzt in Lenz-Moser-Hochkultur, die unter anderem die Mechanisierung der Weingartenarbeiten ermöglichte. Abseits der auf Quantität ausgerichteten Weinproduktion sah man aber auch klar, dass Grüner Veltliner bei Ertragsbeschränkung und qualitätsorientierter Vinifikation für Topqualität geeignet ist. Noch in den Achtzigerjahren bewiesen dies die kräftigen Smaragd-Weine der Vinea Wachau, und in der Folge nahm die Entwicklung in Richtung Qualität auch in anderen Gebieten Fahrt auf.
Veltliner goes abroad
Ende der Neunziger wagte man sich mit den Weinen dann nach Übersee und präsentierte den Grünen Veltliner in den USA. Die Zeit war reif. Für die von Chardonnay mit Holzgeschmack übersättigten New Yorker brachte der fruchtbetonte Grüne Veltliner aus Österreich eine willkommene Abwechslung ins Glas. Auch in kühn arrangierten Vergleichsverkostungen mit weißen Top-Burgundern schlugen sich die kraftvollen Veltliner prächtig. So errang der „Groone“ in den 2000ern einen gewissen Ruhm in der New Yorker Gastronomie und stärkte das Selbstbewusstsein der gesamten österreichischen Weinbranche. Heute findet man Grünen Veltliner auf den Weinkarten von Spitzenrestaurants auf der ganzen Welt – von Skandinavien bis Shanghai.
Nachdem Grüner Veltliner es außerhalb von Österreich zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hatte, wurde er auch international ausgepflanzt. So gibt es heute kleine Flächen in den USA, in Australien und Neuseeland, dazu in Deutschland, Umbrien und Südtirol. Traditionell hat Grüner Veltliner nennenswerte Verbreitung in Tschechien, in der Slowakei sowie in Ungarn. Doch nirgends genießt er auch nur annähernd einen so hohen Stellenwert wie in Österreich, wo er als autochthone Rebsorte gilt. Autochthon bedeutet, dass eine Sorte aus einer bestimmten Region stammt und in erster Linie dort verbreitet ist – und tatsächlich nimmt Grüner Veltliner ein Drittel der österreichischen Gesamtrebfläche ein. Von seinen insgesamt 15.000 Hektar befinden sich fast 13.600 in Niederösterreich, an die 1.200 im Burgenland und etwa 200 in Wien (Weingartengrunderhebung 2020).
Abstammung zufällig enttarnt
Interessant ist, dass Grüner Veltliner genetisch nicht zur Veltliner-Familie gehört. Er ist weder mit Rotem Veltliner noch mit Braunem oder Frührotem Veltliner verwandt. Treffender wäre eigentlich sein heute nur selten gebrauchtes Synonym „Weißgipfler“, welches nicht nur auf seine weißwollig behaarten Triebspitzen hinweist, sondern auch auf die tatsächlich bestehende Verwandtschaft zum Rotgipfler. Denn mit Rotgipfler hat Grüner Veltliner einen Elternteil gemeinsam – den Traminer. Welche seine zweite Elternsorte ist, lag lange Zeit im Dunkeln, und erst 2007 fand das Rätselraten durch einen Zufall ein Ende. Im Burgenland hatte man einen mehr als hundert Jahre alten Rebstock entdeckt, der sich in einem Gestrüpp bei Sankt Georgen am Leithagebirge verbarg. Einige Zeit später wurde dieser genetisch untersucht und stellte sich dabei tatsächlich völlig überraschend als Elternteil des Grünen Veltliners heraus. Da die Wissenschaft der Rebe mit sonst keiner bekannten Sorte eine Verwandtschaft nachweisen konnte, wurde sie nach ihrem Fundort benannt. Grüner Veltliner gilt demnach heute als Kreuzung von Traminer x Sankt Georgen.
Wo ist das Pfefferl?
Die unaufdringliche Aromatik des Grünen Veltliners ist grundsätzlich von frischen Kernobst- und Zitrusnoten geprägt, nicht selten schwingt ein wenig Exotik mit. Abhängig vom Weinstil zeigt sich die Frucht hell und zitrisch – Apfel und Grapefruit sind typisch – oder auch intensiv gelbfruchtig, mit tropischen Aromen nach Orangen, Mango und Maracuja. Immer präsent ist jedoch eine markante Würze, die kräuterig, tabakig oder auch pfeffrig in Erscheinung treten kann. Hier kommt demnach das berühmte „Veltliner-Pfefferl“ ins Spiel. Heute weiß man, dass für die pfeffrigen Noten ein ganz bestimmter Aromastoff verantwortlich ist. Dieser heißt Rotundon und wurde erst 2008 entdeckt – in Syrah, einer Sorte, die sich ebenfalls durch markante Würze auszeichnet. Der Rotundon-Gehalt in den Trauben von Grüner Veltliner ist einerseits vom Klon abhängig, andererseits begünstigen kühle Temperaturen, feuchtes Wetter und die Beschattung der Trauben die Menge an Rotundon. Sie bleibt teilweise – und in Zeiten der Klimaerhitzung wohl immer öfter – unter der Wahrnehmungsschwelle. Deshalb kann Grüner Veltliner ein ausgeprägtes Pfefferl besitzen, er muss aber nicht.
Verschiedenste Gesichter
Außergewöhnlich ist des Grünen Veltliners Vielseitigkeit. Die Bandbreite an Weinen reicht vom unkomplizierten knochentrockenen Einstiegswein bis zur edelsüßen Trockenbeerenauslese – und dazwischen ist quasi alles möglich. In der leichten und frischen Version ist Grüner Veltliner ein süffiger Begleiter für jeden Tag. Mittelkräftige Weine besitzen ein Mehr an Fruchtschmelz, Würze und Mineralität. Reifen seine Trauben sehr lange am Stock und erreichen eine hohe Konzentration, so zeichnet sich der kraftvolle Grüne Veltliner durch Fülle, Cremigkeit und einen hohen Extraktgehalt aus. Vom Stahltank bis zum kleinen Holzfass sind alle Ausbauarten möglich. Auch als Natural Wine beziehungsweise maischevergoren als Orange Wine macht sich Grüner Veltliner immer wieder sehr gut. Dazu ist er im allgemeinen Schaumwein-Boom auch bei der Sektherstellung beliebt, bringt er als autochthone Sorte doch auch beim Schaumwein die Herkunft Österreich in die Flasche. Veltliner-Sekte gibt es sortenrein, aber auch als Cuvéepartner funktioniert er bestens.
Herkunftswein par excellence
Wie keine andere Rebsorte steht Grüner Veltliner für Herkunftswein aus Österreich. Paradegebiet und Vorreiter ist dabei das Weinviertel, wo schon seit dem Jahrgang 2002 allein der Grüne Veltliner als Weinviertel DAC vermarktet werden darf. Fruchtig und frisch lautet das allgemeine Motto, doch das Weinviertel ist groß und durchaus heterogen – das spiegelt sich auch in der dort herrschenden Veltliner-Vielfalt. Auch im Kamptal, Kremstal, Traisental und am Wagram ist der Grüne Veltliner eine DAC-Sorte, die gebietstypische Weine in verschiedenen Qualitätsstufen – vom Gebietswein bis zum Erste-Lagen-Wein hervorbringt. Die besten Riedenweine zeichnen sich durch hohe Komplexität und lange Lagerfähigkeit aus. Das gilt von der Wachau über den Wagram bis nach Wien, aber genauso für den weißen Leithaberg DAC im Burgenland, wo beispielsweise Donnerskirchen als Grüner-Veltliner-Insel gilt.
Anpassungsfähiger Alleskönner
Im Weingarten ist Grüner Veltliner ein Allrounder und stellt keine speziellen Ansprüche an die Lage. Er gedeiht sowohl auf kargeren Böden mit kristallinem Ausgangsgestein als auch auf nährstoffreichem Untergrund mit etwas Kalkgehalt sehr gut. Nur zu große Trockenheit schätzt er nicht, sondern blüht dann auf, wenn sein Tisch reich gedeckt ist. Veltliner-Reben lieben fruchtbare Böden mit guter Wasserversorgung, wie zum Beispiel die tiefgründigen Lössböden am Wagram. Sie verleihen den Weinen eine warme Würze und einen gelbfruchtigen Veltliner-Charakter. In den Kamptaler Weinen spürt man hingegen meist den kühlen klimatischen Einfluss des Waldviertels, welcher dem Grünen Veltliner viel Frische und markante Würzigkeit verleiht. Zudem wächst er hier zum Teil auf Böden mit Kristallin im Untergrund.
Die Lagenweine der Wachau zeichnet wiederum oft eine besondere Dichte, Extraktfülle, aber auch Mineralität aus. Am berühmten Loibenberg findet man den Grünen Veltliner zum Beispiel bevorzugt auf Lössinseln. Im Traisental, wo Grüner Veltliner mit 60 Prozent den höchsten Anteil überhaupt besitzt, sind die Böden vom Kalk geprägt, was für eine besonders klare Struktur, Saftigkeit und Finesse sorgt. Grüne Veltliner hat zweifellos die Fähigkeit, sein Terroir widerzuspiegeln und Herkunft ins Glas zu transportieren.
Dieses Grüner-Veltliner-Porträt erschien im November 2022 im Weinblick von WEIN & CO.