Orange Wines. Die einen lieben sie, die anderen hassen sie und dazwischen gibt es nichts. Diese Behauptung ist blanker Unsinn.
Vor gut zehn Jahren sorgten sie plötzlich für Aufregung in der Weinwelt, die Orange Wines. Geradezu unerhört fand man das, da nun einen Weißwein mit kräftiger Farbe, leichter Trübung und dem Tanningehalt eines Rotweins im Glas zu haben. Ein Jahrzehnt später hat sich die Lage beruhigt. Orange Wines gehören bei nicht wenigen Weingütern ganz selbstverständlich zum Sortiment und ihre Vielfalt wächst ständig. Auch das Weinpublikum hat Orange Wines kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Teilweise angefreundet. Oder auch gar nicht angefreundet. Ganz nach persönlichem Geschmack.
Orange Wine ≠ Natural Wine
Nach wie vor herrscht eine gewisse Verwirrung. Man nennt „Orange Wines“ und „Natural Wines“ in einem Atemzug oder verwendet diese Begriffe sogar als Synonym. Das sollte nicht passieren. Bei Orange Wine handelt es sich um einen mit den Beerenschalen vergorenen Weißwein, er wurde also wie ein Rotwein hergestellt. Orange Wines sind also maischevergorene Weißweine, nicht mehr und nicht weniger. Natural Wines hingegen entstehen im Rahmen einer Betriebsphilosophie, die zumindest von biologischer oder auch biodynamischer Arbeitsweise im Weingarten sowie möglichst wenigen Manipulationen des Weines im Keller (keine Zusätze und „Low Intervention“) gekennzeichnet ist.
Hinter der Begriffsvermischung steckt wohl, dass es hierzulande innovative Naturweinwinzer und -winzerinnen waren, die sich mit den unkonventionellen Orange Wines anfangs verstärkt beschäftigten. Heute experimentieren auch immer mehr Nicht-Bio-Weingüter mit Maischegärung bei Weißwein.
Bunt und individuell
Durch die Vergärung auf seiner Maische erhält der Wein eine intensivere Farbe, ein Tanningerüst und eine von „klassischen“ Weißweinen abweichende Aromatik, die in manchen Fällen gewöhnungsbedürftig sein mag, aber in erster Linie in neue aufregende Geschmackswelten eintauchen lässt. Das Farbspektrum der Orange Wines reicht von Strohgelb bis Bernstein; sie erscheinen im Glas entweder trüb – schöner ist übrigens das im englischen Sprachraum gebräuchliche „cloudy“ – oder auch klar. Eine etwaige Trübung liegt an feinen Hefepartikeln, die im Wein schweben. Mit der Zeit setzen sich diese am Flaschenboden ab, weshalb man empfiehlt, die Flasche vor dem Öffnen sanft zu schütteln, damit die Hefeteilchen sich wieder verteilen. Sie halten den Wein einerseits frisch, verleihen ihm andererseits eine zusätzliche geschmackliche Dimension.
Grundsätzlich kann jede beliebige Rebsorte auf der Maische vergoren werden: Grüner Veltliner, Chardonnay, Grauburgunder, Sauvignon blanc, Traminer etc. Und keineswegs ist es so, dass alle Orange Wines gleich schmecken, wie manchmal behauptet wird. Sortenunterschiede sind genauso gut erkennbar wie bei herkömmlichen Weißweinen, auch wenn das ungewohnte Geschmacksbild ein wenig Übung verlangt. Am schnellsten gibt meist der charakterstarke Traminer seine Identität preis.
Fred Loimer, der bei der GENUSS-Magazin-Verkostung im Frühjahr 2021 eine beeindruckende maischevergorene Weinserie hinlegte, bringt es auf den Punkt: „Aromatische Sorten eignen sich wirklich sehr gut für die Maischegärung. Gerade Gelber Muskateller und Roter Traminer sind fantastisch, werden sehr intensiv, aber nie kitschig. Auch Grüner Veltliner funktioniert bestens. Für den, der behauptet, dass Orange Wines keinen Sortencharakter zeigen, müssten auch alle Rotweine gleich schmecken – die werden schließlich auch auf der Maische vergoren.“
Ohne Kontaktbeschränkungen
Eine ganz wesentliche Rolle spielt die Dauer des Maischekontakts, denn hier entscheidet sich, wie intensiv Aromastoffe und Tannine aus den Schalen ausgelaugt werden. Ursprünglich stammt die Orange-Wine-Bereitung aus Georgien, wo die Weine traditionell über viele Monate in großen Tonamphoren, den sogenannten „Kvevri“, ausgebaut werden. Amphoren unterschiedlicher Größen sind heute in Österreich und wohl in allen Weinbauländern zu finden. Viele Winzer verwenden für ihre Orange Wines aber Holzfässer, so auch Fred Loimer, der seine Weine etwa vier Wochen auf der Maische belässt. Der Langenloiser war schon früh von dem Gedanken fasziniert, den Weißweinen durch Schalenkontakt mehr Struktur zu verleihen: „Mit Maischegärung zu experimentieren habe ich 2003 angefangen – bei Grünem Veltliner von der Lage Spiegel. Solo abgefüllt habe ich das aber nicht, sondern verschnitten. Erst mit 2006 habe ich einen Gemischten Satz aus Gumpoldskirchen als meinen ersten Orange Wine in Flaschen gefüllt.“
Seither hat sich der Biodynamiker intensiv mit dem Thema beschäftigt und viel an Erfahrung gewonnen. Fünf verschiedene Orange Wines gibt es in Loimers Sortiment. Der köstliche Einstiegswein „gluegglich“ taugt unter anderem für preisempfindliche Neulinge. Ein Weltklasse-Wein ist Loimers „Gemischter Satz mit Achtung“ 2015, dem auch die paar Jahre Flaschenreife hervorragend stehen.
53 Weine verkostet
Für das Genussmagazin probierte ich 53 maischevergorene Weißweine. Die meisten stammten aus Österreich, ein paar wenige aus Deutschland und Südtirol. Der Maischekontakt währte mindestens drei Tage, was die Mindestdauer laut Ausschreibung darstellte, und höchstens elf Monate am anderen Ende der Skala. Tatsächlich spielte ein Großteil der Weine zwischen zehn Tagen und vier Wochen auf den Schalen. Die Vielfalt an Rebsorten war enorm, doch entfiel knapp die Hälfte der Weine auf aromatische Sorten. Orange Wines haben sich in einer kleinen, aber sehr spannenden Nische fix etabliert. Oranger Traminer entwickelt sich bereits zum Klassiker.
Beim Thema Gemischter Satz überzeugte neben Fred Loimer auch das Wiener Weingut Christ mit „Kraut & Rüben“ besonders, und bei den aromatischen Sorten zeigten Gernot & Heike Heinrichs Muscat und Roter Traminer der Linie „Freyheit“ wieder einmal, was sie können. Eine dreifache Überraschung kommt aus Kärnten, wo die Familie Egger auf ihrem noch jungen Weingut Sternberg in der Nähe von Villach ausgezeichnete Weine keltert: zum Beispiel Traminer, Sauvignon und Burgunder, die beiden letzteren in der Amphore ausgebaut. Hervorragend gefiel mir auch ein Wein aus Südtirol, ein wunderbarer Kerner mit gekonnt oxidativer Aromatik vom Weingut Niklas in Kaltern.
Die Highlights waren also zahlreich – zu den Verkostungsnotizen.
Artikel erschienen in der Ausgabe 01/2021 des Magazins GENUSS.