Fünf Biowinzerinnen trafen am Weingut Judith Beck in Gols zu einem angeregten Gespräch über Bioweinbau und Weingenuss zusammen. Die Verkostung von zehn Weinen – aus Österreich, Südafrika, dem Elsass und von der Loire – belebte die Diskussion.
„Hast du den eh geschüttelt?“, will Elisabeth wissen, als der von ihr mitgebrachte Wein in eingeschenkt wird. „Nein, hätt‘ ich sollen?!“ „Ja, zumindest einmal umdrehen. Unten ist vielleicht gerade das Beste!“ So stöpseln wir die Flasche wieder zu, drehen sie behutsam auf den Kopf und zurück in die Ausgangsposition. Elisabeth nickt zufrieden, als der Wein daraufhin zart naturtrüb ins Glas fließt. Feine Hefepartikel, die sich am Boden der Flasche abgesetzt hatten, nun aber in Schwebe sind, sind die Ursache dafür. Unfiltriert und mit minimaler Schwefelgabe gefüllt, hält die Hefe den Wein nicht nur frisch, sondern verleiht ihm auch eine zusätzliche geschmackliche Dimension.
„Baby Bandito – Follow your Dreams“ – so heißt dieser Wein von Kultwinzer Craig Hawkins aus Südafrika – kommt in der Runde bestens an. Mitgebracht hat ihn die Weinviertlerin Elisabeth Rücker. Vorgabe war, dass jede Winzerin sowohl einen eigenen Wein als auch einen „Fremdwein“ – egal, welcher Herkunft – zur Verkostung mitnehmen sollte. Die Idee gefiel und wir probierten tolle Weine, solche, welche die Winzerinnen selbst gerade spannend finden oder auch als Vorbild schätzen.
Back to the roots
„Die Weine von Craig Hawkins waren die ersten Natural Wines, in die ich mich total verliebt habe“, erklärt Elisabeth ihre Wahl. Zu jener Zeit arbeitete sie in einer Wein&Co-Filiale in Wien, bereits seit zwölf Jahren ist sie nun am elterlichen Weingut in Unterretzbach. „Es war wie im Film“, lacht die Winzerin, „ich stand am Wiener Gürtel, ein LKW fuhr vorbei, ich bekam eine enorme Abgaswolke ins Gesicht. Was tu ich da und was mach ich eigentlich in der Stadt, fragte ich mich plötzlich. Das gefällt mir doch gar nicht mehr. Ich fuhr weiter in die Arbeit, kündigte aber nach 20 Minuten den Job.“
Seither macht Elisabeth Wein. Der Background zu Hause war ohnehin da, so war „learning by doing“ angesagt und gleich im ersten Jahr übernahm sie die Verantwortung für den Keller. Die Umstellung auf Bioweinbau begann dann 2014, mit dem Jahrgang 2019 ist das Weingut offiziell biozertifiziert. Die Weiterentwicklung in Richtung Biodynamie ist in Gang. „Mehr und mehr Verzicht im Keller wurde immer selbstverständlicher, ich hatte ohnehin nie verstanden, warum Winzer all diese Zusätze für ihre Weine verwenden“, betont Elisabeth. Ihr Grüner Veltliner 2019 von der Riede Halblehen, den wir im zweiten Glas verkosten, strahlt große Trinkfreude und Frische aus. „Ich lege viel Wert auf eine frühe Lese“, sagt die Winzerin, „damit der Alkohol niedrig und die Säure erhalten bleibt!“
Im Gleichgewicht
Frische, Trinkfluss, und Lebendigkeit kommen immer wieder zur Sprache – insbesonders beim Rotwein. „Einen leichtfüßigen und eleganten Rotwein zu machen, ist die wahre Kunst. Fett kann jeder“, bringt Stefanie Renner es auf den Punkt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Susanne führt sie das Weingut Renner & rennersistas in Gols, erst vor Kurzem stieß auch der jüngere Bruder Georg dazu. Als Paradebeispiel für einen erfrischenden, balancierten Rotwein präsentiert Steffi den „Waiting for Tom“, eine nach dem Prinzip der minimalen Eingriffe vinifzierte Cuvée aus Blaufränkisch, Zweigelt und Pinot noir. Sie gehört zur Naturwein-Linie „rennersistas“, welche die Schwestern bei ihrem Einstieg in den Betrieb vor fünf Jahren gründeten, um nicht die bestehenden Kunden des Weinguts mit einer radikalen Änderung des Weinstils zu verschrecken.
Für Bioweinbau hatten sich aber ohnehin schon die Eltern entschieden und die Zertifizierung 2012 erlangt. Der Schritt zum biodynamischen Anbau nach Demeter-Richtlinien geht auf das Konto der Töchter. „Der Anspruch an Qualität zeigt sich in Lebendigkeit und Trinkgenuss, nicht darin, dass der Wein irgendwelche analytischen Parameter erfüllt“, bekräftigt die Burgenländerin und schenkt den Elsässer Weißwein „Sentier au Sud“ ins Glas, Riesling und Grauburgunder von Hubert & Heidi Hausherr. „Was diese beiden auf ihrer kleinen biodynamisch bewirtschafteten Fläche von vier Hektar machen, finde ich großartig“, lobt Steffi, „die Elsässer Weine fallen ja meist kräftig aus, daher finde ich es umso schöner, dass dieser Wein leicht und angenehm zu trinken ist. Die richtige Balance im Weingarten spiegelt sich eben immer in den Weinen. Reben sollen nicht wuchern, sondern dezent und ausgewogen wachsen.“
Den Geschmack einfangen
Vom Gleichgewicht in Bioweingärten schwärmt auch Birgit Braunstein: „Ich liebe die Handarbeit im Weinberg und bekomme so viel zurück, wenn ich durch meine Weingärten gehe. Da weiß ich, dass ich richtig bin.“ Für die Purbacherin war die Bio-Umstellung ein langsamer Prozess: „Von einem Tag auf den anderen hätte ich das nicht machen wollen und können. Biologisch-organisch kam offiziell 2006, in die Biodynamie habe ich mich 2009 gewagt und seit 2015 ist das Weingut Demeter-zertifiziert. Es braucht eine gewisse Zeit bis sich das System umstellt – nicht nur im Weingarten, auch im Kopf.“
Besonders am Herzen liegt der Winzerin der Pinot blanc „Brigid“, ein herrlicher Orange Wine, der drei Wochen auf der Maische verbrachte. „Er kommt von einem besonderen Ort mit einem besonderen Ausblick, vor allem wenn im Herbst in den obersten Lagen von Purbach schon die Sonne scheint, unten aber noch Nebel liegt“, beschreibt Birgit. „Ich habe in die Trauben gebissen und dachte, dass ich genau diesen Moment und diesen Geschmack einfangen möchte. So begann ich, beim Weißwein mit Maischestandzeit und dann auch mit Maischegärung zu arbeiten.“
Ins zweite Glas gelangt der Grüne Veltliner „Wildwux“ aus dem Kremstal. Vor zehn Jahren startete Birgit mit der Biopionierin Ilse Maier vom Weingut Geyerhof (vgl. Interview auf Seite XX) das Biodiversitätsprojekt „Wildwux“, dessen Ziel ist, Monokulturen in der Landschaft zu unterbrechen – durch Tümpel, Hecken, Obstbäume, Weideflächen und Bienenhaltung. Die beiden Wildwux-Weine der Winzerinnen – der eine weiß, der andere rot – sind die flüssigen Botschafter für dieses Erfolgs-Projekt.
Stolz auf bio
„Biowein… Kann man das überhaupt trinken?“ Noch vor zwanzig Jahren besaß bio bei vielen keinen guten Ruf. Vom großen Wandel in der Wahrnehmung von Bioprodukten erzählt Birgit Pferschy-Seper, Winzerin und Heurigenwirtin aus Mödling: „Ich erinnere mich sehr gut an die VieVinum 2002, als ich in der Hofburg ganz stolz zum ersten Mal mit meinem Bio-Schild am Messestand auftrat. Alle Leute gingen vorbei. Hinter vorgehaltener Hand hörte ich Sätze wie ‚Das ist sicher sauer, das kosten wir lieber nicht’ oder ‚A Frau is und bio is a no…’“ Daraufhin habe sie die Biozertifizierung eine Zeitlang nicht mehr erwähnt, gibt Birgit zu, doch mittlerweile – eigentlich erst in den letzten zehn Jahren – habe sich viel verändert: „Gottseidank! Heute haben wir ‚bio’ draussen am Haus, auf der Preisliste, im Prospekt und eigentlich überall stehen.“
Das 300 Jahre alte Weingut Pferschy-Seper ist tatsächlich seit vier Generationen in Frauenhand. Schon Birgits Urgroßmutter war in damals Gemischter Landwirtschaft für den Wein und den Heurigen verantwortlich. Im Jahr 1996 stieg Birgit nach Auslandsaufenthalten in Kalifornien und Südafrika in den Betrieb ihrer Mutter ein, 2000 kam der offizielle Umstieg auf Bioweinbau. Heute steht die fünfte Generation, die älteste Tochter, in den Startlöchern.
Da auch Regionalität ein Riesenthema ist, hat die Niederösterreicherin zwei für die Thermenregion besonders typische Weine mitgebracht. „Der Sankt Laurent vom Johanneshof Reinisch in Tattendorf spricht für das Gebiet und ist sehr sortenpräzise ausgebaut. Als einer der großen Betriebe treibt der Johanneshof Bio wirklich voran“, zollt die Winzerin ihren Kollegen Respekt. Sie selbst widmet sich derzeit verstärkt den Spezialitäten Rotgipfler und Zierfandler. Ihr Rotgipfler 2019, bewusst gehaltvoll ausgebaut und der Sorte entsprechend kein Leichtgewicht, hält wunderbar die Balance am Gaumen.
Qualität immer im Fokus
Die Gastgeberin der Runde, Judith Beck, hebt hervor: „Die Umstellung auf biodynamischen Weinbau resultierte aus einer total pragmatischen Entscheidung. Der einzige Grund, der einzige Gedanke, war, die Qualität der Weine zu verbessern. Schnell wurde klar, dass das nur geht, wenn wir an den Böden arbeiten und mit einem anderen Bewusstsein an die Sache herangehen.“ Die ersten Schritte in Richtung Biodynamie erfolgten 2006 und 2007, heute ist Judiths Weingut Teil der „respekt-BIODYN“-Gruppe. „Nicht nur im Weingarten, auch im Keller hat sich einiges verändert“, sagt die Winzerin, „und damit die Stilistik der Weine. Es war eine unglaublich befreiende Sache, eine Loslösung. Die Weine sind viel lebendiger geworden!“
Mit Lebendigkeit brilliert auch der ungeschwefelte Weißwein der Domaine de L’Ecu aus dem Loire-Tal. „Hier ist eine unglaubliche Energie da“, sind sich die Verkosterinnen einig. Der Winzer hat hier Vermentino-Trauben von einem befreundeten Weingut in der Toskana auf der Maische vergoren und in Amphoren ausgebaut – ein Naturwein der Linie „Love&Grapes“, ein Freundschaftsprojekt.
Zum Abschluss verkosten wir Judiths Cuvée von Blaufränkisch und Zweigelt namens „Out“. Wieder fällt die Frische im Rotwein auf. Steffi Renner freut sich: „Der Wein ist saftig und straff, Trinkfluss beim Rotwein ist einfach DAS Thema.“ „Und warum heißt er ‚Out’? will Elisabeth Rücker wissen. Judith schmunzelt: „Er kommt vom Heideboden, doch die Lage darf man nur noch bei Weinen mit Staatlicher Prüfnummer auf das Etikett schreiben. Prüfnummern-Verkoster sind allerdings sehr an den altmodischen, wuchtigen Rotweinstil gewöhnt und meine Weine mit 12% Vol. fallen da mitunter durch. Fehlender Alkohol als Ablehnungsgrund… Da reiche ich lieber nicht mehr ein. Den Namen ‚Out’ fand ich daher passend. Früher haben Männer ja sogar mitleidig kommentiert: ‚Sooo wenig Alkohol! Naja, mehr hat sie halt nicht zusammengebracht…’.“ Schallendes Gelächter in der Frauenrunde.
Artikel erschienen in der WEINZEIT – WEIN IST WEIBLICH, Herbst 2020, eine Verlagsbeilage der Wiener Zeitung.
Link: WEINZEIT 2020